Geschichte II

Oktober 1944
Seit Oktober treffen fortlaufend Trecks, insbesondere aus der Gegend von Goldap/Ostpreußen, im Kreis Deutsch Krone ein. Diese nehmen jeweils für eine Nacht Quartier, um dann weiter nach Westen und Nordwesten zu ziehen. Auch in Königsgnade übernachten Flüchtlinge aus Ostpreußen. In der Zeit vom 22. Januar bis zum 28. Januar 1945 durchziehen fortwährend Flüchtlingstrecks aus Westpreußen und Posen das Kreisgebiet.

November 1944
In den ersten Novembertagen wird der Volkssturm im Kreis Deutsch Krone aufgestellt. Es soll je ein Bataillon in Deutsch Krone, Jastrow, Märkisch Friedland, Schloppe, Tütz und Lebehnke gebildet werden. Der Volkssturm in Tütz, dem auch die in Königsgnade verbliebenen Männer zwischen 16 und 60 Jahren zugewiesen sind, löst sich sehr rasch wieder auf, es mangelt an Ausrüstung und an Führung.

26. Januar 1945
Die Ortskommandantur ordnet die Räumung des Kreises Deutsch Krone an. Von dem Räumungsbefehl ausgenommen bleibt das westliche Kreisgebiet um Märkisch Friedland, das hinter der Pommernstellung liegt. Der Bevölkerung des Kreises wird als Räumungsziel Demmin in Vorpommern angegeben. Die geplante Räumung scheitert häufig am schnellen Vormarsch der russischen Truppen und an den klimatischen Verhältnissen. Der Wetter ist Anfang 1945 extrem schlecht, es gibt Schneestürme bei großer Kälte, Schneeverwehungen blockieren die Straßen.

3. Februar 1945
Auch für das Kreisgebiet um Märkisch Friedland wird die Räumung angeordnet, nachdem polnischen Verbände im Raum Rederitz einen überraschenden Angriff auf die Bunkerlinie der Pommernstellung gestartet haben. In Königsgnade wird die Räumung des Dorfes vorbereitet, dann aber abgebrochen; die Dorfbevölkerung entscheidet, die Heimat nicht zu verlassen. Dabei spielt neben den klimatischen Bedingungen und dem Zeitmangel auch die Überlegung eine große Rolle, daß Königsgnade abseits der Hauptverkehrsstraßen liegt. Man hofft, vom Krieg verschont zu bleiben.

10. Februar 1945
Märkisch Friedland wird nach schweren Kämpfen von polnischen Verbänden eingenommen. Deutsch Krone und Tütz sind von russischen Verbänden eingeschlossen. Die Hauptkampfline durchschneidet den Kreis in ost-westlicher Richtung zwischen Marzdorf und Knakendorf. In Lubsdorf erzwingen SS-Truppen eine Evakuierung des Dorfes.

11. Februar 1945
Die letzten deutschen Verbände verlassen Tütz, das heftig umkämpft wurde. Schulzendorf wird von russischen Verbänden eingenommen. Kämpfe zwischen deutschen und russischen Verbänden in Marzdorf. Andere russische und polnische Verbände stoßen von Märkisch Friedland kommend, nach Brunk vor, wo der Flüchtlingstreck aus Lubsdorf in Kampfhandlungen gerät. Brunk wird nach kurzem Gefecht erobert, dann übernachten die russischen und polnischen Soldaten im Ort. Ein Haus geht hier in Flammen auf. Eine große Zahl von Flüchtlingen aus Tütz und den umliegenden Dörfern strömt nach Königsgnade und wird aufgenommen. Auch die Flüchtlinge hoffen, im abseits gelegenen Königsgnade von direkter Kriegseinwirkung verschont zu bleiben.
In Königsgnade halten sich am Morgen des 11. Februar noch deutsche Soldaten auf. Es gibt eine Maschinengewehrstellung und es gibt Wachtruppen, die die in der alten Schule internierten französischen Kriegsgefangenen und die »Fremdarbeiter« bewachen. Im Verlauf des Tages flieht ein großer Teil dieser Soldaten. Die französischen Kriegsgefangenen verlassen daraufhin Königsgnade und machen sich auf den Weg in die Heimat. Gerüchten zur Folge, werden viele dieser Franzosen in Kampfhandlungen verwickelt und nicht unweit erschossen.
Am Abend befestigt Lehrer Pfeiffer ein weißes Bettlaken am Schulhaus von Königsgnade.

Kriegsgefangene in Königs
▹ Auf dem Hof v. Franz Garske – a. d. Treppe Arbeitsdienstler

12. Februar 1945
Da die Hauptstraße zwischen Brunk und Marzdorf vermint ist, nehmen die russischen und polnischen Truppen von Brunk aus die Nebenstraße nach Königsgnade und ziehen dann weiter nach Marzdorf, das am gleichen Tag erobert wird. Die ersten Soldaten, die in den Morgenstunden Königsgnade erreichen, sind hungrig und sehr erschöpft. Die Bevölkerung des Dorfes versorgt sie mit Lebensmitteln, vor allem Brot, das auf die vorbeifahrenden Panzer und Wagen geworfen wird.
Die Versorgungslage in Königsgnade ist gut, in den Mieten lagert noch ein Großteil der Kartoffelernte des Jahres 1944, in den Scheunen ungedroschenes Getreide. Die Bevölkerung hat in den Tagen vor dem Einmarsch alle Wertsachen versteckt und vergraben.
Nach dem Durchmarsch der Fronttruppen ziehen Soldaten in roten Mützen, geführt von Kommissaren, in das Dorf ein. Es wird ein Besatzungstatut verhängt, das Dorf wird für zehn Tage zur Plünderung freigegeben. Es kommt zu Vergewaltigungen, zu Misshandlungen und zu zahllosen Akten des Vandalismus, so wird auf einigen Höfen der Viehbestand mit der Maschinenpistole »bejagt«.
Die deutsche Bevölkerung ist rechtlos und strengen Restriktionen (Ausgangssperre, Kontaktsperre) unterworfen. Anders als in anderen Orten des Kreises, werden in Königsgnade jedoch keine Häuser niedergebrannt. Ein deutscher Soldat, der sich versteckt hält, wird bei Entdeckung erschossen.
In den ersten Tagen der Besatzung werden alle Männer, die der NSDAP angehören, verhaftet und später nach Russland abtransportiert: der Lehrer Otto Pfeiffer, der Stellvertreter des Bürgermeisters (der Bürgermeister selbst ist noch eingezogen), der Bauernführer Albert Günterberg, der Fleischbeschauer Albert Litfin, der Kartoffelhändler Franz Marx und der Bauer Leo Manthey.
Die in Königsgnade verbliebenen »Fremdarbeiter« werden befreit, einige Häuser werden konfisziert und ihnen übergeben. Es wird ein russischer Wachtposten in Königsgnade eingerichtet, der sich im Haus von Bernhard Radke befindet. In den nächsten Tagen wird die Bevölkerung des Dorfes nach Alt-Prochnow befohlen und dort registriert. Die im Ort befindlichen Flüchtlinge werden ausgesondert und nach Hause geschickt. Die Bevölkerung wird zur Arbeit auf den Gütern Alt-Prochnow, Hohenstein, Böthin und auch Marzdorf verpflichtet.
Bis weit in den März hinein herrschen chaotische Zustände. In den Wäldern um Königsgnade halten sich versprengte deutsche Soldaten auf, die aus dem Hinterhalt Angriffe starten. Neben den Besatzungssoldaten treiben russische und polnische Banditenbanden in der Gegend ihr Unwesen, sie rauben, und plündern. Immer wieder werden einzelne Dorfbewohner verschleppt und Frauen vergewaltigt. Vor allem in Königsgnade haben, nach einem Bericht von Pfarrer Pickmeier, »Frauen und Mädchen vieles erleiden« müssen.

Anfang März 1945
Einige Männer aus Königsgnade (darunter Franz Garske und Franz Neumann) werden nach Märkisch Friedland gebracht und dort verhört. Später bringt man die Männer nach Deutsch Krone, wo sie zu Aufräumarbeiten eingesetzt werden.

25. März 1945
Die Verwaltung im Kreis Deutsch Krone wird offiziell polnischen Zivilbehörden übertragen; die russischen Besatzungstruppen bleiben trotzdem die entscheidende Kraft. Aus dem Reichsgebiet zurückströmende polnische »Fremdarbeiter« werden (oft gegen ihren Willen) auch in Königsgnade einquartiert. Einige Häuser (unter anderem auch das von Franz Garske) werden zu diesem Zweck geräumt.

6. Mai 1945
Das polnische Gesetz »Über das verlassene und aufgegebene Vermögen« wird erlassen. Das Gesetz geht von der Fiktion aus, die gesamte deutsche Bevölkerung sei geflohen, ihr Vermögen herrenloses Gut. Sinn des Gesetzes ist es, die Deutschen zu enteignen.

8. Mai 1945
Bedingungslose Kapitulation Deutschlands im Westen, die bedingungslose Kapitulation im Osten folgt am 9. Mai.

9. Mai 1945
Die russischen Truppen halten in allen Orten des Kreises Siegesfeiern ab.

15. Mai 1945
Überall im Kreisgebiet beginnen russische Truppen mit dem Abtrieb des Viehs, dass teilweise nach Russland, teilweise aber auch nach Berlin verbracht wird, um die Versorgung der dort stationierten Truppen sicherzustellen. Auch in Königsgnade werden alle Kühe beschlagnahmt und in einer großen Herde abgetrieben. Gleichzeitig werden die landwirtschaftlichen Maschinen beschlagnahmt und die Kartoffelmieten geleert. Das gelagerte Getreide muss gedroschen und dann abgeführt werden. Da die elektrischen Dreschmaschinen nicht mehr vorhanden sind, werden die auf einigen Höfen noch vorhandenen Rosswerke dazu genutzt.

17. Juli 1945 bis 2. August 1945
Potsdamer Konferenz — die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße werden unter polnische und sowjetische Verwaltung gestellt, die Vertreibung der deutschen Bevölkerung von den alliierten Siegermächten im Grundsatz gebilligt.

Sommer 1945
Aus Galizien, Litauen und der westlichen Ukraine kommen polnische Vertriebene auch nach Königsgnade. Diese Menschen sind von den Russen aus ihrer Heimat ausgewiesen worden und werden gegen ihren Willen in den ehemals deutschen Ostgebieten angesiedelt. Viele sind Städter, die nichts von Landwirtschaft verstehen. Die polnischen Vertriebenen kommen meist ohne jede Habe ins Dorf und werden in beschlagnahmten Wohnraum einquartiert.

14. Oktober 1945
Der britische Observer meldet, dass bereits vier bis viereinhalb Millionen Deutsche aus den »Neupolen« genannten Territorien östlich von Oder und Neiße vertrieben worden sind. Die Vertreibungen sollen den Winter über fortdauern, und weitere vier Millionen Menschen umfassen. Die Polonisierung dieser Gebiete ist das vordringliche Ziel aller polnischer Parteien, die damit die neue De-Facto-Grenze Polens für alle Zeiten festschreiben wollen.
In Königsgnade haben bislang noch keine Vertreibungen stattgefunden. Die deutsche Bevölkerung muss auf den Gütern arbeiten und wird auch im Dorf zu allen Arbeiten herangezogen.

Winter 1945/46
Typhusepidemie im Kreis Deutsch Krone. Die Versorgungslage ist schlecht, da die Felder unter dem Besatzungsregime teilweise nicht bestellt werden konnten und die Russen alle Vorräte und Maschinen geplündert haben.

28. März 1946
Die deutsche Bevölkerung wird bis auf wenige Ausnahmen aus Königsgnade vertrieben. Man gibt den Menschen zehn Minuten Zeit, ihre Häuser zu räumen und treibt sie dann, bewacht von polnischen Milizsoldaten, zu Fuß nach Tütz, wo sie auf dem Bahnhof, in den Lagerhallen der Genossenschaft, einquartiert werden.
Am Nachmittag des 29. März werden die Königsgnader auf Viehwagen verladen und nach Stettin verschafft. Während der Bahnfahrt treiben Diebesbanden ihr Unwesen und rauben die Vertriebenen bis aufs Hemd aus. In Stettin werden sie in leerstehenden, ausgebombten Gebäuden einquartiert und nach mehreren Tagen auf ein englisches Schiff verschafft. Vorher werden sie noch einmal auf Wertsachen kontrolliert; Geld, Sparbücher und Schmuck werden von den polnischen Behörden beschlagnahmt. Der Schiffstransport geht nach Lübeck, von hier aus wird die Bevölkerung von Königsgnade auf alle Himmelsrichtungen verteilt.

Sommer 1946
»Nachdem die Polen etwa 12 500 Deutsche in den Monaten März bis Juli 1946 in fünf Transporten zu je 2 500 Personen abtransportiert haben, verblieben in der Stadt Deutsch Krone nur noch vier Familien. Auf dem Lande, in Märkisch-Friedland, Tütz, Marzdorf, Stibbe, Quiriam, Keßburg, Rosenfelde usw., müssen nach meiner Berechnung noch etwa 200 deutsche Personen ansässig sein, die von den Russen und Polen zur Bergung der Ernte zurückgehalten werden.«
▹ Bericht von Kreisoberinspektor a. D. August Mielke an den Landrat a. D. Dr. Karl Knabe vom Sommer 1946, zitiert nach: »Die Grenzmark und Landrat Dr. Knabe«, Bonn 1995
In Königsgnade bleiben zurück: Familie Franz Garske I, Familie Martha Robeck, Familie Emil Schmidt, Familie Max Robeck, Familie Paul Will und Martin Garske. Die Zurückgebliebenen werden im Herbst 1946 aus Königsgnade ausgewiesen und nach Marzdorf verbracht, wo sie für einige Monate auf dem Gut arbeiten müssen, bevor man sie in die sowjetische Besatzungszone überstellt.

Böthinsee
Picknick am Böthinsee (ca. 1935)

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