Im Landkreis Deutsch Krone mit seinen ausgedehnten Feldern und Wäldern, die mehr als zwei Drittel der Kreisfläche bedeckten, zählte die Jagd zu den Lieblingsvergnügen der privilegierten Oberschicht. Fast jeder der mehr als 200 Gutsbesitzer, die es im Kreis gab, verfügte über ein eigenes Jagdrevier mit reichen Beständen an Dam-, Rot- und Schwarzwild. Neben der Pirsch- und Ansitzjagd wurde auf den größeren Gütern auch die Treibjagd auf Niederwild ausgeübt. Diese Kesseltreiben, die im Spätherbst jedes Jahres auf den frisch umbrochenen Ackerflächen stattfanden, waren zugleich wichtige gesellschaftliche Ereignisse.
Eine der bekanntesten Treibjagden des Kreises fand auf dem großen Rittergut in Marzdorf statt, das der Familie Guenther gehörte. Franz Guenther, der Marzdorf 1847 erworben hatte, war zwar selbst kein Jäger, hatte aber großen Wert drauf gelegt, alle seine Söhne in der Ausübung des Weidwerks zu unterrichten. Ihm war bewusst, dass die Treibjagden auf den benachbarten Gütern der Familien von Klitzing (Klausdorf), von Honig (Hohenstein) und Lehr (Klein Nakel) den Zusammenhalt und den geselligen Verkehr der Oberschicht förderten. Unter dem Sohn Richard (* 1850; † 1928) hatte sich die Marzdorfer Treibjagd etabliert und war wegen ihrer tadellosen Leitung und guten Strecke sehr beliebt. Sie war auch für die dörfliche Bevölkerung ein Ereignis, denn viele Landarbeiter wirkten als Treiber mit und erhielten für ihre Dienste von den Gästen manches Trinkgeld.
Emmy Grüneisen (* 1880; † 1961), die älteste Tochter von Richard Guenther, beschreibt in ihren Erinnerungen die übliche Stimmung auf der Marzdorfer Jagd als »sehr frisch und heiter«. In einer Schonung am Weg zum Fuchsberg wurde an großen wärmenden Feuern ein Frühstück bereitet. Emmy Grüneisen berichtet: »Es gab für die Schützen und Treiber dicke Erbsensuppe mit Schweinsohren, heißen Kaffee und Punsch. Wir Frauen und die jungen Mädchen fuhren zur Bewirtung oft mit hinaus und schlossen uns einigen Treibern als Zuschauer an.«
Die letzten Treibjagd in Marzdorf fand im Dezember 1944 statt, als die Rote Armee schon in Ostpreußen stand. Der Jäger und Jagdschriftsteller Hans Liepmann (* 1901; † 1991), der 1937 ein Vorwerk in Gollin bei Schloppe erworben hatte, war zur Jagd eingeladen und hat seine Erlebnisse 1960 in dem Buch »Jäger sind glückliche Menschen« geschildert.
Die Jagd begann nach seinem Bericht mit einem morgendlichen Waldtreiben, danach wurden bei leichtem Schneefall von den 15 Schützen und rund 70 Treibern nacheinander sechs große Kessel auf 3000 Morgen Fläche angelaufen. Zehn Pferdegespanne brachten Treiber und Schützen zu vorher bezeichneten Punkten auf den blanken und teilweise bereits wieder eingesäten Äckern, von denen aus die Kessel geschlossen wurden. Jagdleiter war der Administrator der Marzdorfer Guts, Curt Claes (* 1890; † 1960), der als »einzigartiger Stratege […] alles vorbedachte und einteilte«. Als Treiber dienten in jenem Kriegsjahr französische Kriegsgefangene und polnische »Fremdarbeiter«, denn einheimische Männer waren in den Dörfern kaum noch zu finden.
»Bei der offenen Feldschlacht auf alles Niederwild helfen dem Schützen begeisterte Treiber«, schreibt Liepmann. »Die passioniertesten Mitteleuropas sind Polenjungens; dann kommen Franzosen. Beide Sorten hatte ich neben mir. — ›Chef! Kommt sich Hasse! Kommt sich Hasse ganz schnell über Berg!‹ — ›Monsieur! Monsieur! Un lièvre! Un lièvre! Attention, monsieur!‹ — Als dann zwei zugleich kamen, verharrten meine Treiber reglos, in halber Kniebeuge erstarrt, mit geballten Fäusten, als umklammerten sie die eigene Aufregung, bis es in Doublette geglückt war, zwei um ihr Leben laufenden Häschen das Lichtlein auszublasen. Dann erst jubelten meine Treiber auf.«
Insgesamt wurden auf der Treibjagd im Dezember 1944 137 Hasen und einige Füchse geschossen. An der Kaffeetafel nach der Jagd kürte Geheimrat Grüneisen (* 1872; † 1945) – als Ehemann von Emmy Grüneisen der Gutsherr auf Marzdorf – den Jagdkönig. Den Titel errang in diesem Jahr Gutsbesitzer Paul Zimmermann aus Briesenitz, der 17 Hasen erlegte, Liepmann wurde mit zwölf Hasen und einem Fuchs (wie in den beiden Vorjahren auch) Kronprinz. Der Jagdabend schloss – trotz der Kriegslage oder vielleicht auch gerade deshalb – mit einem fröhlichen Umtrunk und viel »balkenbiegendem« Jägerlatein im Marzdorfer Schloss.
Mit dem Zweiten Welt endete auch die Ära der Treibjagden in Marzdorf. Gejagt wurde freilich weiterhin und die älteren Einwohner von Marcinkowice können sich daran erinnern, dass das Staatsgut in den 1970er Jahren internationale Jagdgäste im Gästehaus des Marzdorfer Schlosses einquartierte. Einige der zahlungskräftigen Jäger kamen auch aus Deutschland in das nun polnische Revier.
Inzwischen ist Polen für deutsche Jäger das Jagdland Nummer Eins geworden und jedes Jahr reisen zwölf- bis fünfzehntausend Deutsche zur Jagd ins Nachbarland. Besonders beliebt sind dabei die Reviere in Pommern mit ihrem guten Wildbestand und ihrer großen Jagdtradition. Im Angebot findet sich selbstverständlich auch das Revier in Tuczno/Tütz, in dem Hirsche, Rehe und Wildschweine gejagt werden können.