Wenn in den alten Zeiten der Tod nach Königsgnade kam, dann kam er zu den Menschen nach Hause. Gestorben wurde nicht in Altenheimen oder Krankenhäusern, sondern zu Hause im eigenen Bett. Natürlich gab es Fälle, in denen der Tod überraschend kam, aber in der Regel wurde sein Besuch erwartet und vorbereitet. Die Angehörigen waren am Sterbebett versammelt und sprachen Gebete, es wurde nach dem Pfarrer in Marzdorf geschickt, der die Kommunion und die Krankensalbung brachte, die damals noch »Letzte Ölung« hieß.
War der Tod eingetreten, wurde die Trauerglocke im Dorf geschlagen, um den Sterbefall öffentlich zu verkünden. Es war Brauch, im Trauerhaus den Lauf der Uhr in der Stunde des Todes anzuhalten und den Spiegel zu verhängen. Am Totenbett wurde das Totengebet gesprochen, zu dem sich auch Nachbarn und Freunde einfanden.
Die Leiche blieb nach dem Tod im Haus und wurde dort gewaschen und hergerichtet. Oft erledigten die Frauen der Familie diese Aufgabe, aber manchmal war auch eine Nachbarin behilflich, die zwar bezahlt wurde, aber die Aufgabe doch mehr aus Frömmigkeit übernahm.
Ein Blick in ein altes Adressbuch1Deutsches Reichs-Adressbuch für Industrie, Gewerbe, Handel, Landwirtschaft, Band IV, Berlin (Mosse) 1930. belehrt uns, dass zur damaligen Zeit in der gesamten Grenzmark Bestattungsunternehmen fast unbekannt waren. Nur in der Provinzhauptstadt Schneidemühl sind im Jahr 1930 einige »Beerdigungsanstalten« verzeichnetet, in Deutsch Krone findet sich immerhin noch ein »Leichenwagenbesitzer-Verein«, aber auf dem Land waren Beisetzungen eine reine Familienangelegenheit. In Tütz oder Märkisch Friedland bestand nicht einmal ein Sarggeschäft, dort musste der Tischler beauftragt werden, wenn die Angehörigen den Sarg nicht selbst fertigen wollten. Das kam aber durchaus vor und mancher Altsitzer hatte speziell zu diesem Zweck gehobelte Kiefernbretter zurückgestellt.
War der Sarg gefertigt oder geliefert, wurde die Leiche hineingelegt. Die Nachbarn kamen und sprachen abends mit den Angehörigen die traditionellen Gebete am offenen Sarg. Am Vorabend der Beerdigung fanden sich Angehörige und Freunde des Verstorbenen auf dem kleinen Friedhof von Königsgnade ein, um das Grab auszuheben. Gerade im Winter, wenn die Erde tief gefroren war, war das eine schwere Arbeit.
Ganz anders als heute, wo nahezu zwei Drittel aller Toten in Deutschland eingeäschert werden, waren in Königsgnade Erdbestattungen nicht nur die Regel, sondern ein unbedingtes Muss. Bis zum zweiten Vatikanischen Konzil (1963) war Katholiken die sogenannte Feuerbestattung mit anschließender Beisetzung der Brandreste verboten. Die Zerstörung des Leibes galt als Sünde wider den Gedanken der Auferstehung nach dem Tode.
Am Morgen der Beisetzung wurde der Sarg geschlossen und auf den Leichenwagen gestellt, den es in der Gemeinde gab. Es waren zwei Pferde vorgespannt, die im Bedarfsfall in der Nachbarschaft geliehen wurden. Der Leichenzug zog unter Trauergesang zuerst am Friedhof vorbei nach Marzdorf, denn eine Beisetzung ohne Totenamt war undenkbar. Der Weg zur Kirche nach Marzdorf war weit und gerade bei schlechter Witterung für die älteren Dorfbewohner eine Strapaze. Die Entfernung vom Dorf zur Kirche war einer der Gründe, warum man in Königsgnade eine eigene Filialkirche wünschte, wie sie in Brunk oder Lubsdorf bestand.
Nach dem Totenamt wurde der Sarg wieder auf den Wagen geladen und zum Friedhof gefahren. Wieder folgte im langsamen Tempo der Leichenzug, der mit Kreuz und Fahnen geschmückt war. Auf dem Friedhof senkte sich der Sarg bald ins offene Grab; es wurden die letzten Gebete gesprochen, die letzten Lieder gesungen und das Grab geschlossen.
Nach der Beisetzung trafen sich Nachbarn, Freunde und Verwandten im Trauerhaus, wo der Leichenschmaus stattfand. Die Speisen und die Getränke, die zu diesem Anlass gereicht wurden, waren traditionell überliefert. Streuselkuchen, gewürztes Brot, gekochter Fisch, Milchreis und Schweinebraten gehörten ebenso dazu wie Kaffee und Schnaps. Der Leichenschmaus dauerte bis in die Nachmittagsstunden; übriggebliebene Speisen erhielten die Kranken und Armen im Dorf, die so auch ihren Anteil hatten.
Die Toten wurden auf dem kleinen Friedhof von Königsgnade noch wirklich zur »ewigen Ruhe« gebettet, denn es gab keine Belegfristen. Die meisten Gräber waren Familienbegräbnisse, die von den Familien des Dorfes dauerhaft geschmückt, gepflegt und regelmäßig besucht wurden. Um die seltenen verwaisten Gräber kümmerten sich Nachbarn oder alte Frauen um Gotteslohn. Die Gräber der ärmeren Einwohner waren meist nur mit einem Holzkreuz versehen, auf anderen Gräbern hatten die Angehörigen einen behauenen Findling aufgestellt, in den der Name des Verstorbenen eingeschlagen war. Auch die meisten Grabeinfassungen wurden im Dorf selbst gefertigt. Nur die begüterten Bauern gaben polierte Grabsteine oder verzierte Stelen bei Steinmetzmeister Gottlob in Märkisch Friedland in Auftrag.
Im Jahr 1942 oder 1943 hatte Pater Pickmeier, der an solchen Aufgaben Freude hatte, eine Verschönerung der Friedhöfe in Königsgnade und Marzdorf angeregt. In Königsgnade wurden die Feldsteinmauern, die den Friedhof von der Straße trennten, teilweise neu gesetzt, die Wege ausgebessert und das Kruzifix, das auf einer Backsteinsäule in der Mitte des Friedhofs stand, erneuert. Auf beiden Friedhöfen ließ Pater Pickmeier zudem Bäume pflanzen.
Als die Einwohner von Königsgnade am 28. März 1946 ihre Heimat verlassen mussten, führte sie der Weg auch am Friedhof vorbei. Der Gedanke an die Gräber der Liebsten machte manchem den Abschied besonders schwer.
Bis zum Ende der 1940er Jahre beerdigten die neuen Bewohner von Jamienko ihre Toten weiter auf dem alten Friedhof. Sie rückten nur ein Stück von den Deutschen ab … Später fanden dann Begräbnisse nur noch in Marcinkowice statt und der alte Friedhof von Königsgnade, der seit 1835 bestand, geriet in Vergessenheit.
Pater Pickmeier, der immer Kontakte nach Polen hatte, unterrichtete die Vertriebenen regelmäßig über den Zustand ihrer Friedhöfe. Noch 1956 war der in Marzdorf gepflegt: »Die Linden reichen mit ihren Zweigen längst über den vier Meter breiten Weg, und die Tannen sind schon starke Leiterbäume.«2Rundbrief der Priester der Freien Prälatur Schneidemühl, Januar 1956, S. 16. Zur damaligen Zeit lebten noch einige deutsche Familien im Dorf, die sich um die Gräber kümmerten. Im Jahr 1960 bedauerte Jan Alojzy Żak, der seit 1957 Pfarrer in Marcinkowice war, dass es keine Deutschen mehr im Dorf gab. Es sei schwer, die »Leute zu einer rechten Pflege des Friedhofs zu bewegen«3Rundbrief der Priester der Freien Prälatur Schneidemühl, Dezember 1960, S. 27..
Heute ist der alte Friedhof von Königsgnade eine Wildnis. Aus den Gräbern wachsen Bäume und mancher alte Grabstein liegt zerbrochen und halb versunkenen im hohen Gras. Der Ort erzählt uns von einer anderen Zeit, in der der Tod näher bei den Menschen war – und damit vielleicht auch das Leben.
Anmerkungen:
- 1Deutsches Reichs-Adressbuch für Industrie, Gewerbe, Handel, Landwirtschaft, Band IV, Berlin (Mosse) 1930.
- 2Rundbrief der Priester der Freien Prälatur Schneidemühl, Januar 1956, S. 16.
- 3Rundbrief der Priester der Freien Prälatur Schneidemühl, Dezember 1960, S. 27.