Anfang August hat in Marcinkowice – dem früheren Marzdorf – ein Restauratoren-Team aus Toruń/Thorn mit umfangreichen Arbeiten begonnen, die bis in den Herbst dauern sollen. Die Hauptaufgabe der Denkmalschützer besteht in der Wiederherstellung der Bildsäule des heiligen Johannes Nepomuk an der Straße nach Lubiesz/Lubsdorf. Zusätzlich wird aber auch eine Bildsäule unmittelbar neben der Kirche restauriert, die der Überlieferung zufolge den heiligen Laurentius von Rom zeigt. Auftraggeber der Arbeiten ist der Konservator der Woiwodschaft Westpommern in Szczecin/Stettin.
Nach der Pfarrchronik1E. Krefft: Aus der Chronik der Pfarre Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020, S. 26. Die Chronik kann hier heruntergeladen werden. wurden die Bildsäulen des Laurentius und des Johannes Nepomuk im Jahr 1775 von Franciszka Krzycka geborene Skorozewska (1720-1782) errichtet, die seit 1759 im Besitz der Marzdorfer Güter war. Pfarrer Krefft (1837-1893) gibt in der Chronik an, beide Denkmäler hätten ursprünglich auf dem Kirchhof vor der Pfarrkirche St. Katharina gestanden und seien im Jahr 1871 restauriert worden. Weitere Hinweise zu ihrer Geschichte fehlen, wie auch keine zeitgenössische Abbildung überliefert ist.
Der böhmische Priester und Märtyrer Johannes Nepomuk (um 1330-1393) war ein typische Heiligengestalt der Gegenreformation. Seine Popularität verdankte er insbesondere den Jesuiten, die erfolgreich versuchten, ihn als Gegenbild zum Reformator Jan Hus (1370-1415) zu etablieren. Der Festtag des 1729 heilig gesprochenen Johannes Nepomuk wurde am 16. Mai gefeiert; die meisten Darstellungen zeigen ihn als kurzbärtigen Kleriker mit einem Kreuz in einer Hand und oft auch einem Zeigefinger vor dem Mund. Sein Bild findet sich häufig an Brücken, weil er der Legende nach von der Prager Karlsbrücke in die Moldau gestürzt und ertränkt wurde. Das zweite Vatikanische Konzil beurteilte seine Heiligenlegende freilich als unhistorisch und strich ihn von der Liste der Kalenderheiligen.
Der heilige Laurentius von Rom (gest. 258) gehört zu den Kanonheiligen der katholischen Kirche und gilt als Schutzpatron der Bäcker, der Bierbrauer und der Hirten. In der bildlichen Darstellung wird er üblicherweise in der Kleidung eines Diakons dargestellt und trägt – als Zeichen seines Märtyrertods – einen Rost in der Hand. Sein Festtag wird bis heute am 10. August begangen. In Polen wurde Laurentius (dort Wawrzyniec) besonders verehrt, seit Bolesław III. Schiefmund am Laurentiustag des Jahres 1113 bei Nakel an der Netze einen entscheidenden Sieg über die Pommern errungen hatte:
»Die Polen schrieben […] dem kräftigen Beistande des heiligen Laurentius den Sieg zu, und feierten auf Befehl ihres Herzogs alljährlich an diesem Tage das Fest der gewonnenen Schlacht über die Heiden.«2Pomerania. Geschichte und Beschreibung des Pommernlandes. Ⅰ. bis Ⅲ. Buch. Stettin, 1844, S. 79.
Beide Denkmäler scheinen also auf die polnisch-katholische Gesinnung der Gutsherrin Franciszka Krzycka drei Jahre nach der preußischen Annexion hinzudeuten, wobei allerdings die Zuschreibung der zweiten Bildsäule umstritten ist. Bereits im Jahre 1980 ging der bekannte Historiker und Reisebuchautor Czesław Piskorski davon aus, dass diese Säule nicht den heiligen Laurentius zeige, sondern den heiligen Sebastian3C. Piskorski: Marcinkowice – jedna z siedzib rodu Wedlów-Tuczyńskich [Marzdorf – einer der Sitze der Familie Wedel-Tuczyński]. In: Jantarowe Szlaki, Kwartalnik Turystiyczno-Krajonznawczy, Województw Północnych, Rok XXIII, Nr. 1 (175), Styczeń-Marzec 1980, S. 35.. Auch der Pfarrer von Marcinkowice, Czesław Łącki, ist heute der Überzeugung, dass die Bildsäule den heiligen Sebastian darstellt, weil der Figur der Rost fehlt, der für die Ikonographie des Laurentius typisch ist. Allerdings könnte die Figur in der kaum noch kenntlichen linken Hand einst durchaus einen Rost gehalten haben und es fehlen ebenso die Pfeile, die den heiligen Sebastian üblicherweise begleiten. Zudem war der Taufname Laurentius in der Pfarre Marzdorf noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus gebräuchlich, was für Sebastian nicht zutrifft.
Die Denkmalschützer in Szczecin ergreifen in dem Streit keine Partei: Sie führen die Bildsäule, die sie auf das Jahr 1871 datieren, unter der neutralen Bezeichnung »kapliczka wotywna« – Votivsäule4https://zabytek.pl/pl/obiekty/g-277269, besucht am 25.08.2024.. Die Jahreszahl 1871 fanden die Fachleute aus Toruń auch eingekratzt unter der Putzschicht am Denkmalsockel. Sie stammt offenbar noch von der ersten Restaurierung her, die Krefft in der Pfarrchronik erwähnt. Vorgestern musste der heilige Laurentius/Sebastian übrigens seinen angestammten Platz verlassen, denn die eher kleine Figur soll in der Werkstatt in Toruń fachmännisch gesäubert und wiederhergestellt werden. Vielleicht werden dabei neue Erkenntnisse zur Identität des Heiligen gewonnen.
Bei der Bildsäule des heiligen Johannes Nepomuk bestehen derartige Probleme nicht, aber diese Figur ist seit dem Kriegsende 1945 schwer beschädigt. Einer Legende zufolge, die bis heute in Marcinkowice erzählt wird, feuerte damals ein russischer Soldat im Übermut mit der Maschinenpistole auf den heiligen Johannes; eine der Kugeln prallte zurück und verwundete den Schützen. An der Legende muss etwas Wahres sein, denn die Statue weist nach den Erkenntnissen der Restauratoren mehrere Einschusslöcher auf. Von einem Treffer war der Kopf lange deformiert und wurde nur durch einen Stützverband gehalten, bis er vor zwei Jahren bei einem Gewitter gänzlich zerbrach. Seitdem steht die Figur des Heiligen ohne Haupt auf ihrem Postament.
Die Rekonstruktion des Kopfes bereitet den Restauratoren große Probleme, weil eine Darstellung der Bildsäule aus der Vorkriegszeit fehlt. Das früheste Foto stammt aus den 1960er Jahren und zeigt bereits das beschädigte Haupt. Vermutlich wird man sich bei der Wiederherstellung an Darstellungen aus anderen Orten orientieren müssen. Der Konservator in Szczecin datiert die Bildsäule des heiligen Johannes Nepomuk – abweichend zur Darstellung in der Pfarrchronik – übrigens auf das Jahr 18755https://zabytek.pl/pl/obiekty/g-258575, besucht am 25.08.2024.. Das Denkmal selbst zeigt jedoch am Fuß der Figur die Jahreszahl 1773, wobei die Ziffer 3 aber leicht als 5 gelesen werden kann. Vielleicht unterlag bereits Krefft diesem Irrtum.
Der Sejmik der Woiwodschaft Westpommern hat im Juni dieses Jahres 60.000 Złoty (etwa 14.000 Euro) für zusätzliche Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten am Hauptaltar der Pfarrkirche St. Katharina in Marcinkowice genehmigt. Das Altarbild, das die Krönung der Jungfrau Maria darstellt und dem Danziger Maler Hermann Hahn (1574-1628)6E. Bahr: Hahn, Hermann. In: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 507-508 oder online. zugeschrieben wird, erhielt in den letzten Wochen bereits einen neuen Rahmen.
Ursprünglich hatten die Denkmalschützer auch eine Restaurierung des Mausoleums der Familie Rée im benachbarten Zdbowo – dem früheren Stibbe – ins Auge gefasst, aber dieses Projekt musste aus Kostengründen zurückgestellt werden. Für die Durchführung aller Arbeiten werden auch Mittel der Europäischen Gemeinschaft verwendet.
Anmerkungen:
- 1E. Krefft: Aus der Chronik der Pfarre Marzdorf. In: Das Archiv, Nr. 6, August 2020, S. 26. Die Chronik kann hier heruntergeladen werden.
- 2Pomerania. Geschichte und Beschreibung des Pommernlandes. Ⅰ. bis Ⅲ. Buch. Stettin, 1844, S. 79.
- 3C. Piskorski: Marcinkowice – jedna z siedzib rodu Wedlów-Tuczyńskich [Marzdorf – einer der Sitze der Familie Wedel-Tuczyński]. In: Jantarowe Szlaki, Kwartalnik Turystiyczno-Krajonznawczy, Województw Północnych, Rok XXIII, Nr. 1 (175), Styczeń-Marzec 1980, S. 35.
- 4https://zabytek.pl/pl/obiekty/g-277269, besucht am 25.08.2024.
- 5https://zabytek.pl/pl/obiekty/g-258575, besucht am 25.08.2024.
- 6E. Bahr: Hahn, Hermann. In: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 507-508 oder online.