Im Januar 1980 veröffentlichte Czesław Piskorski in der Zeitschrift Jantarowe Szlaki1Czesław Piskorski: Marcinkowice – jedna z siedzib rodu Wedlów-Tuczyńskich (Marzdorf – einer der Sitze der Familie Wedel-Tuczyński). In: Jantarowe Szlaki, Kwartalnik Turystiyczno-Krajonznawczy, Województw Północnych, Rok XXIII, Nr. 1 (175), Styczeń-Marzec 1980, S. 33 bis 37. eine umfangreiche Reportage über das Dorf »Marcinkowice in der Woiwodschaft Piła« – es handelt sich dabei um Marzdorf, dessen früherer Name freilich nirgends erwähnt wird. Jantarowe Szlaki (zu deutsch: Bernsteinpfade) war zu jener Zeit das viel gelesene Organ des polnischen Tourismusverbandes PTTK und Piskorski (1915–1987) ein angesehener Reisebuchautor. Das touristische Interesse am kleinen Dorf Marcinkowice mag heute verwundern, aber in den 1980er Jahren waren reiselustige Polen zwangsläufig auf das eigene Land beschränkt und die Region um Tuczno (Tütz) galt als beliebtes Urlaubsziel.
Auch in Marcinkowice sah Piskorski einen »recht wichtigen Ort für die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten«, denn der Dorf habe als »Sitz der Familie Wedel-Tuczynski« mehrere Punkte zu bieten, »die für Touristen zweifellos von Interesse sind« und sei zudem ein guter Ausgangspunkte für Ausflüge in die Umgebung.
Zu den Punkten, die in Marzdorf Interesse verdienen, zählten seiner Meinung nach die »wertvolle Kirche in der Dorfmitte« und der Gebäudekomplex des staatlichen Landwirtschaftsbetriebs (PGR), in dem Reste des ehemaligen »Herrenhauses und des angrenzenden Parks« zu finden sind. Das Herrenhaus sei jedoch im Jahre 1957 abgebrannt und heute nur »ein sehr bescheidenes einstöckiges Gebäude«.
Piskorski nennt das früherer Marzdorfer Gutshaus ein »Dworek Wedlów«, denn er ist irrtümlich der Ansicht, die Tützer Familie Wedel habe in Marzdorf »residiert«, nachdem im »18. Jahrhundert die Burg in Tuczno zerstört« wurde. Solche Äußerungen zeigen, wie wenig vertraut die polnischer Historiker noch in der 1980er Jahren mit der Geschichte des Deutsch Kroner Landes waren. Natürlich war Marzdorf nie eine Residenz der Tützer Wedels, die bereits 1714 im Mannesstamm ausstarben, und natürlich wurde das Tützer Schloss erst 1945 zerstört. Das Marzdorfer Gutshaus ist auch vielmehr ein Dworek Gropius als ein Dworek Wedlów, denn die heute noch erkennbare Form hat es erst seit einem Umbau durch den Berliner Architekten Walter Gropius im Jahr 1867.
Dem Gutshaus, so Pisorski weiter, schließe sich »von Norden her ein vierstöckiges, recht großes Nebengebäude in Fachwerkbauweise« an. Auf dem Plan, der den Artikel illustriert, sind das Herrenhaus und sein Nebengebäude mit den Nummern 1 und 2 bezeichnet, die Nummer 3 kennzeichnet die frühere Gutsschmiede, die Nummer 4 ein Lagerhaus und die Nummern 5 und 6 Wirtschaftsgebäude. Die ganze, teilweise aus Bruchstein errichtete Anlage stellt für Pisorski einen typischen Junkerhof des 19. Jahrhundert dar. Erstaunlich ist, dass die Gutsbrennerei, die bis heute erhalten ist, im Artikel mit keinem Wort erwähnt wird. Ebenso wenig erwähnt Pisorski die Eigentümer des Guts von 1760 bis 1945 – die Familien Krzycki, Grabski, Kloer und vor allem Guenther.
Im Jahre 1980 wurden die Gebäude des Marzdorfer Guts noch von dem »schnell wachsenden staatlichen Landwirtschaftsbetrieb« genutzt. Im Herrenhaus war ein Teil der Verwaltung der PGR untergebracht, die für ihre »hohen Leistungen sowohl im Ackerbau als auch in der Viehzucht« bekannt sei. Als Viehstand des Betriebes nennt Pisorski etwa 3.000 Rinder und fast 2.000 Schafe. Im früheren Gutspark, in dem sich »sowohl einheimische als auch exotische Bäume und Sträucher« finden, wurden Wildenten und Fasane gehalten.
Besonders viel Raum widmet Pisorski der Dorfkirche St. Katharina. Es handele sich um eine einschiffige Kirche »im Renaissancestil« mit einem massiven vierstöckigen Turm und Walmdach. Im Rundturm an der Nordseite sei noch ein »Fragment« der ursprünglich gotischen Backsteinkirche aus dem 14. Jahrhundert zu erkennen, die von Andreas Wedel-Tuczynski im 17. Jahrhundert umgebaut wurde. Noch später seien an den Seiten »zwei Vorhallen und eine Sakristei« angebaut wurden. Die Kirche sei nicht verputzt, so dass die Ziegelsteine sichtbar sind; sie weise zudem die für die Gotik charakteristischen Strebepfeiler auf und sei von einer historischen Steinmauer umgeben.
Im Inneren der Kirche findet Pisorski den Hauptaltar »sehr wertvoll«. Dieser sei ein Werk der Danziger Schule mit der Darstellung der Jungfrau Maria. Das Altarbild wurde um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert vom Maler Hermann Hahn geschaffen und gelte als eines der wichtigsten Kunstwerke dieser Zeit in Polen. Ursprünglich sei das Gemälde mit einem silbernen Kleid mit Krone und Ohrringen geschmückt gewesen, aber Konservatoren hätten diese Beigaben während der Renovierung entfernt.
Bemerkenswert findet Pisorski auch die zwölf Metallkugeln in der Kirche, von denen je sechs über dem Eingang zur Sakristei und über dem Haupteingang kreuzförmig angebracht sind. Bekannt stammen die Kugeln aus der Schlacht von Stuhm (1629) als Polen und Deutsche gemeinsam gegen die Schweden kämpften; Pisorski ordnet sie jedoch fehlerhaft der Schlacht bei Marienburg (1410) zu, die Polen gegen die Deutschordensritter bestritt. Früher habe es eine lateinische Inschrift zu den Kugeln gegeben, bemerkt Pisorski, aber diese sei verschwunden.
Interessant sind auch die weiteren Informationen, die Pisorski zum Dorf Marcinkowice gibt. Zwar fehlt bei ihm eine Angabe der Einwohnerzahl im Jahr 1980, aber wir erfahren, dass im Dorf zwei Lebensmittelgeschäfte bestanden und in der PGR ein Gemeinschaftsraum und eine Bibliothek mit Lesesaal vorhanden war. Es gebe im Dorf jedoch weder eine Gaststätte noch ein Restaurant, »obwohl das sehr nützlich wäre«. Auf einer zweiten Karte sind das Klubhaus mit der Kindertagesstätte (1), die Bibliothek (2), die Barock-Bildsäule des Heiligen Laurentius (3), ein Kindergarten (4), die neue und die alte Schule (5), die Direktion der PGR (6) und die Bildsäule des Heiligen Johann Nepomuk (7) eingezeichnet. Die beiden Bildsäulen datiert Pisorski auf das Jahr 1775 und gibt an, sie seien 1875 renoviert worden. Auf dem Plan ist ebenfalls die Bushaltestelle der PKS eingezeichnet, die das Dorf mit Tütz und Märkisch Friedland verband. In Tütz hatten die Touristen Anschluss an die staatlichen Eisenbahnlinien der PKP.
In der Umgebung von Marzdorf findet Pisorski vor allem den Großen Böthinsee interessant, der sechs Kilometer östlich des Dorfes liegt. Dieser See sei nicht nur schön, sondern auch bei Anglern sehr geschätzt; zudem seien in der Nähe des Dorfes Böthin die Überreste einer frühmittelalterlichen slawischen Festung zu finden, die im Jahr 1107 von Bolesław Krzywousty zerstört wurde. Ein Wall mit einem Umfang von 150 Metern sei von der Festung erhalten geblieben.
Anmerkungen:
- 1Czesław Piskorski: Marcinkowice – jedna z siedzib rodu Wedlów-Tuczyńskich (Marzdorf – einer der Sitze der Familie Wedel-Tuczyński). In: Jantarowe Szlaki, Kwartalnik Turystiyczno-Krajonznawczy, Województw Północnych, Rok XXIII, Nr. 1 (175), Styczeń-Marzec 1980, S. 33 bis 37.