Das Deutsch Kroner Land

von Leo Rehbronn

Der nachfolgende Aufsatz wurde Weihnachten 1962 im Rundbrief der Priester der Freien Prälatur (Seite 31 f.) ohne Quellennachweis veröffentlicht. Vermutlich verfasste der Marzdorfer Pfarrer Leo Rehbronn den Text für die Schneidemühler Kirchenzeitung Johannesbote, die Ende 1941 ihr Erscheinen einstellen musste. Der Hinweis auf die Kirchenglocken im drittletzten Absatz deutet darauf hin, dass der Aufsatz vor der Veröffentlichung im Rundbrief aktualisiert wurde, denn das Nazi-Regime ordnete die Abnahme der Bronzeglocken zwar im November 1941 an, führte sie aber erst 1942 und 1943 durch.

Leo Rehbronn wurde am 10. Februar 1887 in Lubsdorf geboren. Über seine Jugend ist nichts bekannt, er trat später in das Priesterseminar in Posen ein und wurde am 17. Juli 1921 in Gnesen zum Priester geweiht. Nach der Weihe diente Rehbronn als 3. Vikar in der Dreifaltigkeitskirche in Gnesen. Im April 1925 erfolgte die Versetzung nach Schneidemühl, wo Rehbronn bis 1934 als Kurat die katholische Gemeinde verwaltete, der rund 13 000 Christen zugehörten. In der Schneidemühler Zeit wohnte Rehbronn in der Bismarckstraße 8, sein Dienstsitz war das Katholische Pfarramt in der Kleinen Kirchenstraße 15.

Im Jahr 1934 wurde Rehbronn als Pfarrer in die Deutsch Kroner Filialgemeinde Breitenstein versetzt, die nur 540 Gläubige zählte. Wahrscheinlich hatte diese Versetzung – wie so viele in jener Zeit – politische Gründe. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass sich Rehbronn in der Schneidemühler Zeit bei den Nazis unbeliebt gemacht hatte. Breitenstein war jedoch nur eine Zwischenetappe, schon am 1. Mai 1935 wurde Rehbronn nach Marzdorf berufen, wo er am 27. Mai 1944 überraschend im Alter von 57 Jahren verstarb.

Das Gebiet des Deutsch Kroner Landes deckt sich in seinen Grenzen mit denen des Kreises Deutsch Krone, des zweitgrößten Kreises in Preußen, früher häufig genannt der »Cronsche Kreis«. Es umfaßt 68 000 Einwohner, von denen fast die Hälfte Katholiken sind, die in 18 Seelsorgsbezirken von 23 Geistlichen pastoriert werden. Die Katholiken dieses Gebietes sind der fünfte Teil der gesamten Apostolischen Administratur Schneidemühl. Auffallend groß ist hier die Zahl der einheimischen Geistlichen; denn von den 23 Priestern sind 16 in diesem Kreise geboren und haben das Gymnasium zu Deutsch Krone besucht. Priminzfeiern sind hier keine Seltenheit; denn aus dem Kreise sind 30 Prozent der gesamten Geistlichkeit der Apostolischen Administratur hervorgegangen. In allgemeiner Erinnerung sind die Namen von 70 Geistlichen, die aus dem Kreise stammen, von denen 52 noch leben, die größtenteils in unserer eigenen Apostolischen Administratur, teils auch in anderen Diözesen oder in der Mission tätig sind. Aus dem Dorfe Freudenfier mit 1238 Seelen sind allein acht Geistliche bekannt, von denen fünf noch im Amte sind.

Auch das weibliche Geschlecht hat sich stark daran beteiligt, sich in besonderer Weise in den Dienst Gottes zu stellen, meistens durch Eintritt in die Kongregation der Schwestern von der hl. Elisabeth, den sogenannten »Grauen Schwestern«. Es sind die Namen von 62 Grauen Schwestern bekannt, deren Heimat das Deutsch Kroner Land ist; dabei ist es keine Seltenheit, daß sich drei bis vier Geschwister darunter befinden.

Die rege Beteiligung am Priester- und Ordensstande ist ein Spiegelbild der treuen religiösen Gesinnung, die in unserem katholischen Volksteil wohnt, welche auch des öfteren von maßgebender Stelle festgestellt und lobend anerkannt worden ist und sich auch in der Vergangenheit im sogenannten Kulturkampfe glänzend bewährt hat, wo das gute katholische Volk treu an der Seite der von Gendarmerie, Polizei und Gerichtsvollziehern verfolgten Geistlichkeit im Kampfe ausgehalten hat. Im Kulturkampfe gab es im.Deutsch Kroner Land nur einen »Staatsgeistlichen«, den Propst Lissak von Schrotz, mit dem aber kein Staat zu machen war, da er von den Katholiken gänzlich gemieden wurde.

Eine Eigentümlichkeit dieses Gebietes ist die auffallend große Anzahl von Filialkirchen. Da gibt es fast kein Dorf mit einer nennenswerten Anzahl von Katholiken, welches nicht außer der Pfarrkirche im Nachbarorte noch seine eigene Filialkirche mit periodischem Gottesdienste hat. Die Pfarrkirche von Zippnow hatte bis vor wenigen Jahren sogar noch sieben Filialkirchen in den Nachbarorten.

Die männlichen Ordensniederlassungen der früheren Zeiten haben sich nicht mehr erhalten. Außer den Grauen Schwestern in Deutsch Krone und Tütz sind weibliche Orden nicht vorhanden. Von den drei Gnadenbildern in Schrotz, Marzdorf und Mellentin ist nur das Schrotzer kirchlich als solches anerkannt, Die Kirche in Schrotz ist am Feste Mariä Himmelfahrt das Ziel zahlreicher Wallfahrer, aber meistens nicht in geschlossenen Zügen. Außer den Marienfesten sind als Ablaßfeste1Das Wort »Ablass« wird hier als Synonym für das Kirchweihfest gebraucht. Ablässe im kirchenrechtlichen Sinn gab es im Deutsch Kroner Land nicht. bevorzugt Jakobi, Johanni und Michaeli. Die Patronatsfeste des Ortes werden von den Nachbarorten fleißig besucht, bei welcher Gelegenheit sich Verwandtschaft und Freundschaft ein Stelldichein gibt, um Gastfreundschaft zu gewähren und zu empfangen. Man sagt in diesem Falle: man geht zum »Gastgebott«. Bäuerliche Hochzeiten werden oft in großem Umfange gehalten, wobei manchmal das halbe Dorf geladen wird. Das kirchliche Begräbnis ist recht feierlich, gewöhnlich vormittags, in Verbindung mit dem hl. Meßopfer, dem das Singen der Vigilien vorausgeht. Nach dem Begräbnis folgt meistens das Begräbnismahl, an dem die Verwandten, Nachbarn und Leichenträger teilnehmen, wobei im Tischgebet auch noch des Verstorbenen durch den Vorbeter gedacht wird.

In den Händen der älteren Leute befindet sich noch das alte Sydowsche Gebet- und Gesangbuch2Das zweiteilige Katholische Gebet- und Gesangbuch von Stanislaw Christoph Vinzenz Sydow wurde erstmals 1850 in Lissa bei Günther veröffentlicht. 1864 erschien ebenda die vierte Ausgabe, eine achte Auflage ist für 1898 in Thorn (Lambeck) nachweisbar. Sydow (* 1785; † 1863) stammte aus Zippnow und war Propst ebenda. welches von ihnen sehr geschätzt wird, jetzt aber nicht mehr käuflich zu haben ist, sondern nur geerbt werden kann. Aus diesem Buche wurde vor Einführung der neuen Gesangbücher fleißig vom Volke gesungen. Viele alte Leute kennen jetzt noch den größten Teil der Lieder dieses Buches auswendig; man sang daraus nicht nur in der Kirche zu dem Hauptgottesdienst und nachmittags vor der Vesper die »Tageszeiten«, sondern auch fleißig in der Advents- und Fastenzeit zu Hause gemeinschaftlich.

Gesang- und Gebetbuch der Freien Prälatur Schneidemühl, 1925

Wohlhabenheit und Armut der Bewohner wechseln wie die Ergiebigkeit des Bodens, der stellenweise Weizen trägt, stellenweise aber auch reines Heideland ist, im Durchschnitt aber sich gut zum Anbau der Kartoffel eignet, die hier Hauptfrucht ist. Nur ein geringer Teil der größeren landwirtschaftlichen Güter befindet sich im Besitze der Katholiken. Die katholischen Landwirte haben im Durchschnitt eine Wirtschaft von 80 bis 100 Morgen und zwei Pferde. Für manche arme Familie ist im Herbste die Ernte der Kartoffeln auf den großen Gütern (»das Kartoffelbuddeln«) und in waldreichen Gegenden das Einsammeln von Pilzen für Berlin und der Blaubeeren zur Fruchtweinbereitung im Sommer eine wichtige Einnahmequelle. Der Geburtenüberschuss muß auswandern, da es hier an Industrie fast ganz fehlt und daher die Arbeitsgelegenheit beschränkt ist. So kommt es, daß so wie der gesamte Osten des Reiches auch das Deutsch Kroner Land einen beträchtlichen Teil der Berliner Dienstboten liefert, die auch in der Fremde meistenteils ihre Treue der katholischen Kirche bewahren und ihre Liebe zur Heimat alljährlich im Sommer durch einen Besuch bekunden.

Soweit die Geschichte des Kreises reicht, bezeugt sie, daß der »Cronsche Kreis« stets ein reindeutsches Gebiet gewesen ist: daran konnte auch die politische Zugehörigkeit zu Polen vom Jahre 1368 bis 1772 nichts ändern. Die Umgangssprache der ländlichen Bevölkerung ist das Plattdeutsche. Die im Weltkriege abgelieferten Kirchenglocken, welche größtenteils aus dem 16. Jahrhundert stammten, trugen gewöhnlich plattdeutsche Inschriften, wie z. B.:

Gott der Here schop mi,
Jochem Carstäde got mi.
Im Namen der heiligsten Drifoldichkeit,
Gott si gelavet in Ewigkeit.
3In etwas anderer Form war das die Inschrift der ältesten Marzdorfer Glocke, die aus dem Jahr 1598 stammte. Diese Glocke wurde im Weltkrieg nicht eingeschmolzen, aber nach Kriegsende schwer beschädigt.

Es sind Urkunden aus dem 14. Jahrhundert vorhanden, welche bereits in plattdeutscher Sprache verfaßt worden sind. Der westliche Teil des Deutsch Kroner Landes ist das sogenannte »Nippsche Gebiet«, in dessen Zentrum die Stadt Tütz gelegen ist. Woher diese Bezeichnung kommt, und was sie sagen will, ist nicht mehr bekannt. Manche wollen die Bezeichnung »Nippsches Gebiet« ableiten von »Niemiezkisches« Gebiet, was soviel wie deutsches Gebiet bedeuten würde.

Tütz, der Mittelpunkt dieses Gebietes, hatte die große Ehre, der neuentstandenen Apostolischen Administratur in ihrem Schlosse die erste Unterkunft zu gewähren, wodurch sein Name in der ganzen Welt bekannt geworden ist.

Anmerkungen:

  • 1
    Das Wort »Ablass« wird hier als Synonym für das Kirchweihfest gebraucht. Ablässe im kirchenrechtlichen Sinn gab es im Deutsch Kroner Land nicht.
  • 2
    Das zweiteilige Katholische Gebet- und Gesangbuch von Stanislaw Christoph Vinzenz Sydow wurde erstmals 1850 in Lissa bei Günther veröffentlicht. 1864 erschien ebenda die vierte Ausgabe, eine achte Auflage ist für 1898 in Thorn (Lambeck) nachweisbar. Sydow (* 1785; † 1863) stammte aus Zippnow und war Propst ebenda.
  • 3
    In etwas anderer Form war das die Inschrift der ältesten Marzdorfer Glocke, die aus dem Jahr 1598 stammte. Diese Glocke wurde im Weltkrieg nicht eingeschmolzen, aber nach Kriegsende schwer beschädigt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert