Vor einiger Zeit erinnerte ich an dieser Stelle an Hulda Beutler, die am 3. März 1873 in Lubsdorf geboren wurde und am 7. Dezember 1942 im Ghetto Theresienstadt starb. Frau Beutler führte in den 1930er Jahren ein Geschäft in Stibbe. Sie wurde im September 1938 im antisemitischen Hetzblatt Der Stürmer denunziert, verlor ihren Lebensunterhalt im Kreis Deutsch Krone und zog nach Berlin. Dort lebte sie im Mai 1939 nachweislich in einem jüdischen Altersheim in der Gerlachstraße, von dem aus sie am 21. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde.
Einiges in meinem Beitrag war nur Vermutung. So mutmaßte ich, dass bereits Hulda Beutlers Vater Louis in Stibbe ein Lebensmittelgeschäft führte. Die Vermutung hat sich inzwischen erhärtet, denn unter einigen vergilbten Postkarten, die in Tuczno jüngst aufgefunden wurden, findet sich auch die folgende:
Postkarte an Herrn Beutler in Stibbe aus dem Jahr 1908
Mit der Karte aus dem Jahr 1908 wurde »Herr Beutler« in Stibbe darüber informiert, dass für ihn per Bahnfracht ein 50 kg-Sack Mehl in Tütz angekommen war. Absender des Frachtguts war der Müller Perlitz in Alt-Körtnitz im Kreis Dramburg, der in der dortigen Mühle noch 1931 nachweisbar ist1Max Bruhn: Pommersche Mühlenmeister, Mühlenbesitzer und ihre Gehilfen, Hamburg (Sedina-Archiv) 1972/73, S. 72.. Nach der kaum mehr lesbaren Bescheinigung in der rechten unteren Ecke holte Beutler den Sack noch am Versandtag der Karte, dem 11. Juli 1908, auf dem Bahnhof ab. Die Bestellung eines halben Zentners Mehl ist sicherlich ein Indiz für gewerblichen Handel.
Der zweite Nachweis auf Hulda Beutlers Geschäft stammt aus Klockhaus’ kaufmännischem Handels- und Gewerbe-Adressbuch für das Jahr 1935. Dieses Adressbuch zeichnet sich durch besondere Gründlichkeit aus, und im Band 1a (Groß-Berlin, Provinz Brandenburg, Provinz Grenzmark, Provinz Pommern und Mecklenburg) ist auf Seite 969 auch das Dorf Stibbe mit damals 420 Einwohnern erwähnt:
Neben dem Gasthof von Wilhelm Kuhlmann – der sogar Telefonanschluss hat –, führt das Adressbuch auch Hulda Beutler mit einem Gemischtwarenladen auf.
Ein dritter Hinweis auf Hulda Beutler findet sich in den Akten der Synagogengemeinde Tütz, die heute in der Zweigstelle Piła der Staatsarchiv Poznan (Archiwum Państwowe w Poznaniu Oddział w Pile) unter der Signatur 55/907/0/-/16083 verwahrt werden. Sowohl in den Jahren 1936 wie 1937 wird Hulda Beutler im Einkommensnachweis der Tützer Gemeinde als »zahlungsfähiges Mitglied« der Synagogengemeinde mit einem Jahresbetrag von 18 Mark aufgeführt. Hier die Aufstellung für das Jahr 1936:
In den Jahren vor 1936 wurde Hulda Beutler in den Listen der jüdischen Gemeinde nicht erwähnt, aber das mag daran liegen, dass auf ihnen generell keine Frauen zu finden sind. Im Mai 1938 bestand die jüdische Gemeinde in Tütz nur noch aus den Familien Max Moses, Paul Loewenstein, Bruno Moses und Paula sowie Siegbert Edel. Da bei Max Moses, Paul Loewenstein und Siegbert Edel Auswanderungsabsicht bestand, wurde am 23. Mai 1938 die Auflösung der Synagogengemeinde beschlossen und die Synagoge zum Verkauf angeboten2Protokoll der Gemeindevorstandssitzung der Synagogengemeinde in Tütz vom 23.05.1938 in: Acta des Königlichen Ober-Präsidiums von Preußen die Synagogen-Gemeinde in Tütz betreffend (1855-1938), AP Poznan/Piła, Signatur 55/907/0/-/16083, unpaginiert.. Hulda Beutler wird in dem letzten Protokoll des Synagogenvorstands nicht erwähnt. Offenbar hatte sie Stibbe schon vor dem Stürmer-Artikel verlassen.
Anmerkungen:
- 1Max Bruhn: Pommersche Mühlenmeister, Mühlenbesitzer und ihre Gehilfen, Hamburg (Sedina-Archiv) 1972/73, S. 72.
- 2Protokoll der Gemeindevorstandssitzung der Synagogengemeinde in Tütz vom 23.05.1938 in: Acta des Königlichen Ober-Präsidiums von Preußen die Synagogen-Gemeinde in Tütz betreffend (1855-1938), AP Poznan/Piła, Signatur 55/907/0/-/16083, unpaginiert.