Die nachfolgende Geschichte in der heute vergessenen Mundart des Deutsch Kroner-Landes erschien erstmals im Mai 1959 im »Rundbrief der Priester der Freien Prälatur Schneidemühl« auf den Seiten 14 und 15. Als Verfasser gab der »Rundbrief« das Kürzel »H. H.« an – dahinter verbirgt sich vermutlich der Tützer Lehrer Hubert Hilarius Rehbronn, der 1888 in Lubsdorf geboren wurden und 1976 in München starb.
Den Hintergrund der Geschichte bildet die Reichstagswahl vom 20. Mai 1928, bei der erstmals der Schneidemühler Lehrer Brunislaus Warnke für das Zentrum kandidierte. Warnke stammte aus Zippnow, hatte das Gymnasium in Deutsch Krone besucht und war auch einmal Seminar-Oberlehrer gewesen. Es ist daher wahrscheinlich, dass Rehbronn ihn persönlich kannte, obwohl Warnke vermutlich nie sein »Lehri« war, wie es in der Geschichte heißt.
In der Zentrumsfraktion ersetzte Warnke den Ostpreußen Bernhard Buchholz – einen ehemaligen Rittergutsbesitzer. Warnke war am Ende der 1920er Jahre ein sehr beliebter Politiker. Er war volkstümlich und schlagfertig, kannte die Entwicklungsgeschichte der Grenzmark und ihre Mundarten. Er hatte die Provinz im Reichsrat vertreten und war seit 1922 Abgeordneter ihres Provinziallandtags.
Die in der Geschichte aufgestellte Behauptung, in Lubsdorf habe man einstimmig Zentrum gewählt, wird vom politischen Gegner bestätigt. In einem Buch über den NSDAP-Gau »Kurmark« heißt es über die Reichstagswahl 1930: »Lubsdorf wählte geschlossen Zentrum und schickte ein Huldigungstelegramm an [Reichskanzler] Brüning, der eine Dankesantwort sandte.«1G. Rühle: Kurmark – die Geschichte eines Gaues, Berlin (Lindemann) o. J. [1934], S. 96.
Warnke gehörte auch 1933 noch dem Reichstag an und stimmte mit seiner Fraktion dem Ermächtigungsgesetz der Hitler-Diktatur zu. Das bewahrte ihn nicht davor, in den kommenden Jahren schikaniert und verfolgt zu werden. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er von der Gestapo in Haft genommen. Nach dem Krieg lebte Warnke in Wittenberg, wo er wieder als Lehrer arbeitete und sich zudem in der CDU engagierte. Er gehörte dem Landtag von Sachsen-Anhalt an und wurde im Oktober 1949 in die Provisorische Länderkammer der DDR gewählt. Als Fraktionsvorsitzender der CDU geriet er im Frühjahr 1950 in Konflikt mit der SED und musste aus der DDR fliehen. Er starb am 18. August 1958 in Unsleben.
Die Übertragung der Mundartgeschichte stammt von mir. Wie immer bin ich für Verbesserungen dankbar.
Päuli u Josep In di Schmeid, de midda im Döp stün, we weddi a grot Dach. Hi löta sick de Keis Tiet tom Vätjalla. Franz wu nu höt häbba, datt de Reichstag uplöst we u datt ma nu weddi wähla gaua müßt. Micha hadd datt ok Ieisa u wüßt a fam Schuta dä Nauma fam nieja Reichstagskandidata, Studiarat Warnke2Gemeint ist Brunislaus Warnke (* 1883 in Zippnow), der von 1928-1933 dem Reichstag angehörte. ut Schniedmeua. »I da«, sjang ick, sächt Soldweida3Sowohl die Bedeutung von sjang als auch von Soldweida sind unklar. Wer kann helfen?, »datt we jo mia Lehri, de mutt hi heikauma u a Väsammlung affhola u reida. Ick wa äm hüt no gleich schriewa.« | Paul und Josef In der Schmiede, die mitten im Dorf stand, war wieder ein großer Tag. Hier ließen sich die Männer Zeit, um zu Erzählen. Franz wollte nun gehört haben, dass der Reichstag aufgelöst wäre und man nun wieder wählen gehen müsste. Micha hatte das auch gelesen und wusste vom Schuster auch den Namen des neuen Reichstagskandidaten, Studienrat Warnke aus Schneidemühl. »I da«, rief ich, der Schulmeister, »das war ja mein Lehrer, der muss hier herkommen und eine Versammlung abhalten und reden. Ich werde ihm gleich heute noch schreiben.« |
»Datt is do gauni nötch«, sächt Micha mit sina näggnasiebzig Jaura, »solang as de Zentrumspartei besteht, ick löw datt we im Jau 18824Die Zentrumspartei wurde bereits 1870 gegründet. as de gründ wö, hätt os Döp ümmi einstimmig Zentrum wählt u datt mutt ok so bliewa. U da, hi is no ni eas i dä hunit Jaura a Reidner weist, löw ji da, datt hi ea heikümmt? Ick ni.« | »Das ist doch gar nicht nötig«, sagte Micha mit seinen neunundsiebzig Jahren, »solang wie die Zentrumspartei besteht, ich glaube, das war im Jahr 1882 als sie gegründet wurde, hat unser Dorf immer einstimmig Zentrum gewählt, und das muss auch so bleiben. Und dennoch, hier ist noch nie in all den Jahren ein Redner gewesen, glaub ihr, dass er herkommt? Ich nicht.« |
»Datt stimmt wo allis, watt du sächst«, sächt Hanni, »wi sinn jo ok stoolz darupp, datt os Döp as einzigst im ganza Krees ümmi einstimmig Zentrum wählt hätt, u datt bliwt ok so. Öbbi wi möta osa Abgeordnata ok kjanga lera u mett äm reida. Hüt is do a ganz anni Tiet. Warnke mutt hi heikauma.« De anda gewä däm Hanni recht. | »Das stimmt wohl alles, was du sagst«, sagte Hanni, »wir sind auch stolz darauf, dass unser Dorf als einziges im ganzen Kreis immer einstimmig Zentrum gewählt hat – und das bleibt auch so. Aber wir müssen unseren Abgeordneten auch kennen lernen und mit ihm reden. Heute ist doch eine ganz andere Zeit. Warnke muss hier herkommen.« Die anderen gaben Hanni recht. |
A Breef güng aff. Veteja Dog spaudi we Warnke dau. De eest öffentlich politisch Väsammlurig wö in Lüsdop affhola. Datt ganz Döp we daubi. Nau dree a haw Stuna we de Väsammlung ut. Warnke we affreest. De Lüd gönga tofreida nau Hus. A pau Keis blewa io im Kruch trügg. Ditt groot Ereignis müßt do no eest richtig döchreidt wara, na, u a good Drüp bi Heyma Bruno is ok ni to verachta, wenn’s graud eas top sinn. | Ein Brief ging ab. Vierzehn Tage später war Warnke da. Die erste öffentliche politische Versammlung wurde in Lubsdorf abgehalten. Das ganze Dorf war dabei. Nach dreieinhalb Stunden war die Versammlung aus. Warnke war abgereist. Die Leute gingen zufrieden nach Hause. Ein paar Burschen blieben aber im Krug zurück. Dieses große Ereignis musste noch richtig besprochen werden und gewiss ist ein guter Tropfen bei Bruno Heymann auch nicht zu verachten, wenn alle gerade da sind. |
Nu is datt up de Döpera jo so, datt de junga Keis sick jeia franga. Jedi wi de Staakst im Döp sinn, de gröttzt Kraft häbba. So ist datt i Maut- u i Schuttadöp, so is datt i Straualabach u i Lusdöp, so ist datt euwirall. Öftis geht da datt bi disa gesuna u staaka Keis a beitka haat to. Öbbi datt is ni so schlimm, as datt utsüht. So we datt nu ok nau disi Väsammlung. | Nun ist das auf den Dörfern ja so, dass die jungen Burschen sich gern messen. Jeder will der Stärkste im Dorf sein und die größte Kraft haben. So ist das in Marz- und in Schulzendorf, so ist das in Strahlenberg und in Lubsdorf, so ist das überall. Öfters geht es bei diesen gesunden und kräftigen Buschen ein bisschen hart zu. Aber das ist nicht so schlimm, wie es aussieht. So war das nun auch nach dieser Versammlung. |
Twee Dog daunau trüff ick miena goda Fründ Päuli. | Zwei Tage später traf ich meinen guten Freund Paul. |
»Nanu, Mensch Päuli«, frög ick, »watt is da mett di los, du häst jo soa väkrabbt Gesicht, häst dud Gnibb hatt?« | Nanu, Mensch Paul«, fragte ich, »was ist nur mit dir los, du hast ja so ein zerkratztes Gesicht, hattest du mit einer Mücke zu tun?« |
»A schöa Gnibb«, sächt Päuli, »du wäßt do, Hubert, dis ull Röwi fa Josep hätt mi do nau di Väsammlung as Warnke dauwe int Gesicht stött u mi krabbt.« | »Eine schöne Mücke«, sagte Paul, »du weißt doch, Hubert, dieser alte Räuber Josef hat mich doch nach der Versammlung, als Warnke da war, dauernd im Gesicht gestoßen und gekratzt.« |
»Is datt schlimm wora?« frög ick. | »Ist es [noch] schlimm geworden?« fragte ich. |
»I wo, schlimm graud ni, e hätt mi bloß mett däm Duma dä Hemma upreit u a pau Teia Iosschloga. Datt vageht ok weddi. Öbbi du süst do, datt is nu de Jugend fa hüt. Na, du kjangst äm jo ok. Vätjall öbbist nischt wiedi«, sächt Päuli. | »Ach nein, schlimm gerade nicht, er hat mir bloß mit dem Daumen das Hemd aufgerissen und ein paar Zähne gelockert. Das vergeht auch wieder. Aber du siehst ja, das ist nun die Jugend von heute. Na, du kennst ihn ja. Erzähl es aber nicht weiter«, sagte Paul. |
Gäga Auwand trüff ick Josep. E kem graud vom Tüffkautmoka. | Gegen Abend trag ich Josef. Er kam gerade vom Kartoffel-Ausmachen. |
»He, he, Josep«, röp ick, »töf a beitka, ick kaum mett.« — »Nanu, Josep«, sägg ick, »häst du a schlimma Duma?« | »He, he. Josef«, rief ich, »warte ein bisschen, ich komme mit.« — »Nanu, Josef«, sagte ich, »hast du einen schlimmen Daumen?« |
»A«, sächt Josep, »nischt, nischt.« | »Ach«, sagte Josef, »es ist nichts.« |
»Datt süht jo so schlimm ut, häst die dau mett däm Bia ruppihoga odi mett di Axt?« frög ick. | »Das sieht ja so schlimm aus, hast du dir mit dem Beil drauf geschlagen oder mit der Axt?« fragte ich. |
«I wo, datt hätt do de ull Päult mokt«, sächt Josep. | »Ach wo, das hat der alte Paul gemacht«, sagte Josef. |
»Päuli?« frög ick, »na wu kem da datt, dehst jo so hemleck daumeid. Hä ju da weddi frangt?« | »Paul?« fragte ich, »wie kam das denn, du tust ja so heimlich damit. Habt ihr euch wieder gestritten? |
»Watt schü datt wo annis sinn«, sächt Josep. »Du kjangst jo ok disa ola Päuli mett sinam grota Mua. Du wäßt do, Hubert, datt Warnke bi os reidt had. As e wä we, do blew no a beitka top u dan föng did Päuli a, quasatt u quasatt ümmi to. Ick kün di ditt ni me mett ahöra u seid ok a pau Wö. Kiek, sächti di do, de wi ok a mettreida u wett a Schiet wofa, datt is nu de Jugend fa hüt u kem up mi to. Na, fa däm häbbk do no kea Angst. Ick häbb no ni im Kriech Angst hat. Fang do a, wenn did Eias jöckt, seid ick to äm, du Röwi. — Du schimpst mi Röwi? Du kjangst di wosjowas ni, krabb mid Hack, röpi da, u schimpt wiedi. Na, datt künk mi do ni gefalla lauta u jew äm a pan ind Freit, dat e hiaschtjot u mi mett raffineet. Daubi hätt e mi in dä Duma beita, Is öbbist allis ni so schlimm.« | »Wie sollte das schon anders sein«, sagte Josef. »Du kennst ja diesen alten Paul mit seinem großen Maul. Du weißt doch, Hubert, dass Warnke bei uns gesprochen hat. Als er weg war, blieben wir noch ein bisschen zusammen und dann fing Paul an, quasselte und quasselte immer zu. Ich konnte das nicht mehr mit anhören und sagte auch ein paar Worte. Schaut, sagte er darauf, der will auch mitreden und weiß einen Scheiß darüber, das ist nun die Jugend von heute, dabei kam er auf mich zu. Na, vor dem hab ich doch keine Angst. Ich habe selbst im Krieg keine Angst gehabt. Fang doch an, wenn dich etwas juckt, sagte ich zu ihm, du Räuber. — Du schimpfst mich einen Räuber? Du kennst dich wohl selber nicht, du kratzbürstiger Lump, rief er und schimpfte weiter. Na, das konnte ich mir doch nicht gefallen lassen und gab ihm einen Schlag in die Fresse, dass er hinschlug und mich mit zog. Dabei biß er mir in den Daumen, aber es ist alles nicht so schlimm.« |
»Na, Josep«, frög ick, »wißt äm da ni väkloga?« | »Na, Josef«, wollte ich wissen, »willst du ihn nun verklagen?« |
»Wäga däm beitka kloga?« sächt Josep. »Mensch, Hubert, datt wäßt do ok, datt in osam Döp seit hunit Jaura no ni eas ea ut osam Döp fäm Gericht weist is. I wo, de anda Keis jewa nauhei ena Liti, dä drünkchw ut u daumeid ist de Sach erledigt. Datt we jo ok ma bloß Schpauß, öbbist jeiert häbbk äm do.« | »Wegen dem bisschen klagen?« sagte Josef. »Mensch, Hubert, du weißt doch auch, dass in unserem Dorf seid hundert Jahren noch nie einer mit einem anderen aus dem Dorf vor Gericht gewesen ist. Ach wo, die anderen Burschen spendierten nachher einen Liter, den tranken wir aus und damit ist die Sache erledigt. Das war ja auch bloß Spaß, aber geärgert hab ich ihn doch.« |
Schpauß mutt sinn, Iacha wie do ok u wenn’w eest weddi in di Schmeid odi im Kruch top sinn bei Heyma Bruno, da drinka wi anna Liti, wi dree, Päuli, Josep u jug. | Spaß muss sein, lachen auch und wenn wir erst wieder in der Schmiede oder im Krug bei Bruno Heymann zusammen sind, dann trinken wir einen Liter, wir drei, Paul, Josef und ich. |
Anmerkungen:
- 1G. Rühle: Kurmark – die Geschichte eines Gaues, Berlin (Lindemann) o. J. [1934], S. 96.
- 2Gemeint ist Brunislaus Warnke (* 1883 in Zippnow), der von 1928-1933 dem Reichstag angehörte.
- 3Sowohl die Bedeutung von sjang als auch von Soldweida sind unklar. Wer kann helfen?
- 4Die Zentrumspartei wurde bereits 1870 gegründet.